23.10. 2020: "Meine Reise" (von Maria Wakolbinger, 2b)

Ich bin ein Igelmädchen und heiße Ida. Ich lebe im Wald. Solange ich denken kann, lebe ich schon im Wald. Der Wald ist nicht sehr groß, aber doch groß genug, um darin zu leben.

 

Mitten im Wald steht ein großes, gelbes Haus. Manchmal waren in dem Haus Leute zu Besuch. Diese Leute redeten etwas anders als die Leute, die im anderen großen, gelben Haus wohnen. Das andere Haus steht gegenüber dem Walde. Nur ein breiter, grauer Streifen, der gar nicht natürlich riecht und aussieht, trennt mich von dem Haus. Auf dem grauen Streifen fahren oft am Tag Monster vorbei. Die Monster sind groß und sie stinken. Und laut sind sie. In der Nacht, wenn es dunkel ist, dann haben die Monster riesige, grelle Lichter bei sich.

 

Ich bin der einzige Igel im Wald. Früher hatte ich sieben Geschwister und Eltern. Meine Schwestern hießen Rosalie, Sophie und Paulina. Meine Brüder wurden Emil, Oskar, Theo und Willi genannt. Meine Eltern trugen die Namen Mathilde und Cornelius. Paulina war eine richtige Draufgängerin und ziemlich mutig. Das wollten Emil und Theo aber nicht glauben. Also wollten sie, dass Paulina eine Mutprobe bestand. Natürlich sagte meine Schwester zu. Damit das Ganze fair ablief, sollten ich und mein Bruder Willi aufpassen, damit niemand schummelte. In der Nacht liefen wir zum grauen Streifen. Emil und Theo trippelten bis zur Mitte des Streifens und riefen Paulina zu, sie sollte zu ihnen kommen. Paulina lief unerschrocken auf Emil und Theo zu. Doch da kam wie aus dem Nichts ein Monster dahergeschossen. Bevor meine Geschwister etwas unternehmen konnten, hatte sie das Monster schon überrollt. Ihr Schicksal war dasselbe, das meinen Vater Cornelius und meinen Bruder Oskar nicht viel später ereilte.

 

Meine Mutter, ich, Willi, Sophie und Rosalie waren schrecklich traurig. Meine Mutter passte seit dieser Zeit sehr gut auf uns auf und ließ uns fast keine Sekunde aus den Augen. Einmal machten wir fünf einen Spaziergang durch den Wald, als ein Fuchs auf uns zukam. Aber von hinten. Er fiel über Willi und Sophie her. Meine Mutter hörte ihr Schreien. Wie eine Kämpferin stellte Mama sich zwischen den Fuchs, Rosalie und mir. Mama vergaß nur kurz, ihren verletzlichen Bauch zu schützen, aber es war für den Fuchs Zeit genug, um sie zu töten. Von zehn Igeln waren jetzt nur noch zwei übrig. Rosalie und ich passten von nun an gegenseitig sehr gut auf und auf. Wir fanden gerade genug zu essen, um zu überleben.

 

Doch eines Morgens lag Rosalie reglos in unserem Unterschlupf. Ich war sehr traurig, trauriger als je zuvor. Aber es gibt im Wald auch viele andere Tiere wie Rehe, Eichhörnchen, Vögel und viele kleine Krabbeltiere. Die Rehe sind eingebildet, weil sie so tun, als wären sie die Herrscher über den Wald. Die Rehe mag ich zwar nicht, aber es gibt ein altes Eichhörnchen, das mich manchmal besucht, damit ich nicht so allein bin. Das alte Eichhörnchen heißt Esquila. Esquila ist sehr schlau. Sie erzählt mir viel von der Natur und über die Logik von Menschen. Esquila war so etwas wie meine Ersatzgroßmutter. Nach Rosalies Tod blieb ich allein, doch Gott sei Dank hatte ich Equila, die mich regelmäßig besuchte. So lebte ich mein Leben fast ein Jahr lang.

 

Doch irgendwann kam mich Equila nicht mehr besuchen. Es war zu der Zeit, als die Blätter von den Bäumen fielen und der Wald sich in ein buntes Paradies verwandelte. Equila hatte mir einmal erklärt, dass die Menschen diese Zeit den Herbst nennen. Jetzt wo Equila nicht mehr zu mir kam, beschloss ich, wegzugehen. In der folgenden Nacht trippelte ich den Weg zum grauen Band hinab und vergewisserte mich zuerst, ob ein Monster kam. Schnell lief ich auf die andere Seite. Dort war das andere große, gelbe Haus. Der Boden bestand dort aus viereckigen Steinen. Plötzlich stand ein Tier vor mir. Von Equila wusste ich, dass das eine Katze war. Katzen taten uns Igel anscheinend selten etwas zuleide, doch ich traute der Samtpfote nicht über den Weg. Die Katze stupste mich mit ihrer Pfote an, zuckte aber zurück, als ihre weichen Ballen meine spitzen Stacheln berührten. Fauchend zog sich das Tier zurück. Trotz meines Respekts vor der Katze und ihrem Territorium wagte ich mich ein paar selbstsichere Schritte in Richtung Wiese, die ich weiter vorne erspäht hatte. So schnell ich konnte, wuselte ich durch die Wiese. Ich sah kurz nach hinten. Zu meinem Glück verfolgte mich die Katze nicht mehr.

 

Ich lief weiter. Nun kam ich an ein paar Obstbäumen vorbei. Urplötzlich fiel ich. Ich fiel nicht lange, doch ich prallte auf einem Stein auf. Ich war auf einer Steinstiege gelandet. Zurück konnte ich unmöglich, die Stufe war zu hoch. Mir blieb nur eine einzige Option: hinab. Ich nahm all meinen Mut zusammen, rollte mich zu einer Kugel zusammen und ließ mich die restlichen drei Stufen hinabkullern. Als ich mich wieder entrollte, lag ich auf einem grauen Streifen. Ich sah hoch und erblickte auf beiden Seiten des Streifens Häuser. Ich hatte mir das Land außerhalb des Waldes anders vorgestellt. Mit Bäumen und Wiesen und Bächen, aber doch nicht mit großen Würfeln, die bunt angemalt sind, und breiten, grauen Streifen, auf denen Monster patrouillieren. Eingeschüchtert trippelte ich weiter.

 

Ungefähr 15 Minuten später erreichte ich den ersten großen Baum. Doch gleich neben dem Baum ging der graue Streifen schon wieder weiter. Auf der anderen Seite des Baumes lagen kleine, runde Dinger. Vorsichtig lief ich auf ein Ding abseits der anderen zu. Weil es mir nichts zuleide tat, beschnüffelte ich es. Das kleine Ding roch lecker. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Hunger hatte. Also biss ich zaghaft ein kleines Stückchen ab. Es schmeckte nicht besonders gut, aber es war wohl das einzige, das ich zu essen finden würde. Also aß ich das Ding auf und zockelte dann gemächlich am Rand des grauen Streifens weiter.

 

Nun ging es bergab. Da sah ich auf der anderen Seite des grauen Streifens eine Wiese. Ich überquerte den Steifen und lief so schnell ich konnte auf die Wiese zu. Dort gab viele große Bäume. Ich war glücklich! Doch ich wollte nicht hierbleiben, hier roch ich nämlich Katzen, und Katzen konnte ich nicht ausstehen. Aber auf den grauen Streifen wollte ich trotzdem nicht zurück. Also trippelte ich durch die Wiese. Irgendwann kam ich zu einem grauen Platz, auf dem etliche Monster waren. Ich bekam Angst, aber ich vermutete, dass die Monster gerade schliefen, weil sich kein einziges von ihnen rührte. Vorsichtig lief ich über die graue Fläche, um ja keines der Monster zu wecken. Endlich war ich über den Platz und sah zu meinem Verdruss wieder ein graues Band. Ich wuselte den Streifen entlang, bis ich zu einem großen Haus mit sehr vielen Fenstern kam. Doch ich lief weiter. Hier gefiel es mir nicht. Irgendwann kam ich zu einem sehr breiten Streifen, auf dem gelegentlich ein Monster vorbeifuhr. Dann kauerte ich mich ins Gebüsch. Hier gab es auch Lichter, die ganz anders als die Sterne vom dunklen Nachthimmel herableuchteten.

 

Als eine Zeit lang kein Monster kam, wagte ich die Überquerung des grauen Streifens. Plötzlich kam ein Monster dahergeschossen. Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen und wartete meinen Tod ab. Doch er kam nicht. Als ich mich wieder aufblicken traute, war das Monster verschwunden. Ich wanderte jetzt bergauf. Meine Beinchen waren inzwischen vom langen Marsch schwer wie Blei geworden. In der Ferne konnte ich erkennen, dass die Sonne bald aufgehen würde und mittlerweile kamen immer mehr Monster an mit vorüber. Ich bog ab und sah zu einem großen Gebäude auf. Ich lief auf das Haus zu, denn es kam mir nett und einladend vor. Ich wuselte auf den hell erleuchteten Eingang zu. Dort drückte ich mich in die Ecke zwischen der Mauer einem Ding, das durchsichtig, aber nicht igeldurchlässig war. Einige Minuten später kam ein dunkelhaariger, großer Mann auf das Haus zu. Als er mich erblickte, hob er ein eckiges Ding hoch und drückte darauf herum. Dann verschwand er im Gebäude.

 

Ich stellte fest, dass es einen schmalen Weg hinter das Haus gab. Neugierig, wie ich war, folgte ich dem Pfad und kam kurz darauf auf eine Wiese, mit einem kleinen Teich und einer Menge Sträucher. Für mich war klar: Von hier wollte ich nie wieder weg! Es war wie im Paradies! Also suchte ich mir ein paar Blätter, doch so richtig wollte ich nicht in einen Winterschlaf versinken. Dazu bräuchte ich einen kuscheligen Laubhaufen, wie zuhause im Wald. Irgendwer hatte wohl meinen Wunsch gehört, denn als ich nach ein paar Tagen wieder durch mein neues Zuhause streifte, fand ich einen Laubhaufen, wie für mich gemacht, vor. Ich grub mir natürlich sofort einen Tunnel. Drinnen war es warm, weich und kuschelig. Das perfekte Zuhause für einen Igel wie mich, dachte ich mir. Jetzt musste ich mir nur noch ein bisschen Winterspeck anfressen und dann konnte ich endlich meine wohlverdiente Winterpause machen. Wer weiß, welche Abenteuer im Frühling auf mich warten.



Maria Wakolbinger, 2b